"Für jede:n gibt es eine Rolle"
Im Dialog mit Anna Katharina Meyer, Club of Rome-Mitglied und Co-Founder von FindingSustainia
August 2023
Sarah: Liebe Anna, würdest du dich bitte kurz vorstellen, insbesondere wie du dich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigst?
Anna: Ich bin Anna Katharina Meyer. Ich beschäftige mich schon meine gesamte berufliche Laufbahn mit dem Thema Nachhaltigkeit bzw. dem, was die Welt gerade braucht, um zukunftsfähig zu sein. Ich habe zunächst Politik- und Medienwissenschaft studiert. Und als Zweitstudium dann erneuerbare Energien, weil ich den Eindruck hatte, dass die Klimakrise das ist, was wirklich nachteilig für unsere Zukunftsfähigkeit ist. Ich arbeite mich immer in die Bereiche ein, wo ich meine, meine Schaffenskraft bestmöglich für eine Verbesserung der Welt einsetzen zu können.
Sarah: Du hast mit Santa Meyer-Nandi zusammen vor vielen Jahren FindingSustainia gegründet, was zunächst vor allem als Blog zu nachhaltigem Verhalten zu verstehen war, den ihr aber mittlerweile auch zu einem eigenen Angebot ausgeweitet habt. Was hat euch dazu motiviert und wen sprecht ihr an?
Anna: Wir haben erkannt, dass ganz oft Einzelpersonen mit unglaublichem Potential und großer Motivation in Transformationsprozesse gehen, sich aktivistisch oder auch mit unternehmerischen Ideen in die Welt einbringen wollen und an verschiedenen strukturellen Hürden, aber auch an ihrem eigenen Anspruch scheitern. Wenn die Herausforderungen riesig sind, wirkt der eigene Impact oft zu klein. Die meisten wünschen sich größeren Impact und erleben eine Unzufriedenheit. Das ist, wo wir ansetzen wollen und genau diese Personen stärken wollen. Wir haben verschiedene Formate, mit denen wir sogenannte Change-Gestalter in ihrer Kraft, für eine bessere Welt zu wirken, stärken möchten.
Sarah: Wir im Kollektiv Regenerative interessieren uns besonders für Aktivitäten und Verhaltensweisen am Arbeitsplatz, die von Teams oder anderen Gruppen am Arbeitsplatz ausgehen. Da würde mich natürlich interessieren, aus der Sicht der Expertin, welchen Hebel du auf der Ebene der Teams siehst? Warum macht es aus deiner Sicht Sinn, auf der Ebene anzusetzen?
Anna: Von der Politikwissenschaft über meine technische Auseinandersetzung mit erneuerbaren Energien bin ich immer mehr dazu gekommen, dass es diese Entwicklungsthemen in Unternehmen sind, die eine wirkliche Veränderung in der Welt bringen können. Dafür bin ich nochmal an die Uni gegangen und habe im Bereich Accounting und Controlling promoviert, um mir anzuschauen, wie Nachhaltigkeitssteuerung in Unternehmen gelingen kann. Da kommt es ganz oft auf die Entscheider:innen in Unternehmen an und deren Teams.
Gerade im Bereich Accounting und Controlling war es lange so, dass man vor allem auf Rendite-Ziele etc. hingearbeitet hat. Heute müssen alle Unternehmen auch andere Aspekte viel stärker in den Blick nehmen und viel stärker darauf achten, Kennzahlen zu vermitteln, die auf Net Positive und auf die Externalisierung von positiven Wirkungen ausgerichtet sind. Diese positiven Wirkungen umfassen Aktivitäten, die Mitarbeitende in der Regel gerne unterstützen, mit denen sie sich identifizieren und die sie zufrieden machen. Also wo insgesamt viel mehr Energie hingeht, als wenn man nur Rendite-Ziele definiert.
Deshalb raten wir von FindingSustainia den Entscheidungsträger:innen, die wir begleiten dürfen, genau solche Kennzahlen einzuführen und den Mitarbeitenden zu vermitteln, dass das Unternehmen neben Rendite-Erwartung eine ebenso große Erwartung hat, einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Und dadurch sind Teams auch viel motivierter und leidenschaftlicher bei der Sache.
Sarah: Wenn wir auf Teams schauen: Was ist aus deiner Sicht das Wichtigste, mit dem sich Teams beschäftigen sollten mit Blick auf ökologische Nachhaltigkeit? Welchen Einflussbereich haben Teams?
Anna: Auf jeden Fall kann jedes Team gucken, welchen Hebel es in seinem normalen Arbeitsbereich hat. Dabei finde ich zwei Dinge spannend. Zum einen, dass man die eigenen Arbeitsprozesse und auch die eigenen Geschäftsmodelle anschaut, welche Wirkungen diese haben und diese dann so weiterentwickelt, dass sie nachhaltig sind. Zum anderen ist es aber auch sinnvoll, wenn es im Unternehmen ein Transformations- oder Umweltteam gibt, welches sich übergreifend und interdisziplinär Dinge anschaut und so auf ganz neue Lösungen kommt, die einzelne Teams, die in ihrer Struktur verankert sind, gar nicht finden können. Beides kann dann ineinandergreifen.
Sarah: Kennst du spezifische Initiativen oder Projekte, die von Teams aus ins Leben gerufen worden und die dich begeistert haben in deiner Arbeit mit Organisationen?
Anna: Ich kenne Fälle, wo sich einzelne, besonders motivierte Mitarbeitende zusammengetan haben, um ein bisschen die Geschäftsführung oder den Vorstand zu treiben. Das geht dann häufig von einer Gruppe von Freiwilligen im Unternehmen aus, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen. Das hat aus meiner Erfahrung heraus schon große Wirkungen erzielt, dass diese die wichtigen Themen vorausdenken und vielleicht auch ein bisschen nerven, und immer wieder neue Initiativen vorschlagen, mit denen sich dann die Führungsebene beschäftigen muss. Ich kenne auch Fälle, die eher Guerilla-Aktivitäten ins Leben gerufen haben, was auch eine sehr große Wirkung erzielt hat. Zum Beispiel hat eine Gruppe in der Empfangshalle eine große Skulptur aus Kaffeebechern aufgestellt, um darauf aufmerksam zu machen, wie viele Einwegbecher in der Organisation täglich verbraucht werden. Das war mit niemandem abgestimmt und sehr viele haben darüber gesprochen. Es konnte auch keiner dafür belangt werden, da es ja sozusagen die Kraft der Gruppe war, die sich das überlegt hat.
Manchmal werden auch direkt Entscheidungen von oben getroffen und dann Einzelne auserkoren, die Ziele umzusetzen. Das hat auch eine starke Wirkung, weil diese Person(en) durch den Vorstand mandatiert sind und damit an Strahlkraft gewinnen. So können sich dann auch verschiedene Menschen anschließen und damit mehr Wirkung erzielen mit dem Wissen, dass der Vorstand dahintersteht.
Sarah: Was würdest du Mitarbeitenden aus Unternehmen mitgeben, die sich noch gar nicht wirklich mit dem Thema auseinandersetzen und noch ganz am Anfang des nachhaltigen Bewusstseins und Handelns stehen. Welchen ersten Schritt könnten Einzelne hier gehen, um Wirkung zu erzielen?
Anna: Es lohnt sich, zu identifizieren, was schlecht ist. Das ist auch das, was Unternehmen zunehmend machen müssen: Transparenz darüber herzustellen, welche negativen Externalitäten von ihnen ausgehen. Aber auch einzelne Teams oder Gruppen können aufschreiben, an welchen Stellen die größten negativen Auswirkungen sind und Alternativen aufzeigen als eine Art Entscheidungsgrundlage für das Management. Zum Beispiel aufzuzeigen, wenn man in der Kantine jeden Tag drei Gerichte mit tierischen Produkten anbietet und nur ein Vegetarisches, dass es dann klar ist, dass die Fleischgerichte mehr gewählt werden, als wenn die Mitarbeitenden drei vegetarische Optionen hätten. Und dann zu zeigen, was es für eine Wirkung hätte, das umzustellen oder auch eine Umfrage durchzuführen, um die Akzeptanz der Mitarbeitenden zu erfragen. Solche Dinge kann man machen, ohne besonders mandatiert zu sein.
Sarah: Gibt es noch etwas, was du unserer Zielgruppe, also Individuen und Teammitgliedern, die sich aus eigenem Interesse heraus engagieren wollen, mitgeben würdest?
Anna: Was mir immer wichtig ist zu sagen, ist, dass es für jede:n eine Rolle in der gesamtgesellschaftlichen, nachhaltigen Transformation gibt. Jede:r der meint, nicht mitmachen zu können oder zu müssen, weil die Kompetenzen andere sind, den möchte ich gerne einladen, diese Einstellung zu überdenken. Es gibt wirklich für jede:n, mit unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen eine Möglichkeit sich einzubringen – egal ob mit technischer, psychologisch-sozialer oder auch wirtschaftlicher Expertise. Es gibt so viele Wirkungsräume. Nicht gut ist es, zu sagen, ich verbringe meinen ganzen Tag bei der Arbeit mit Aktivitäten, die der Welt nicht dienen und zu Hause achte ich auf nachhaltigen Konsum, das ist eben leider nicht mehr ausreichend. Wir sind zu weit fortgeschritten und es ist wichtig, dass jede:r auch versucht den Arbeitsplatz so umzugestalten oder solche Aktivitäten zu entfalten, dass die Arbeit eine positive Wirkung im Bereich Nachhaltigkeitstransformation hat.
Sarah: Herzlichen Dank, liebe Anna für dieses wundervolle Gespräch!