Remote Arbeit als umweltfreundliche Alternative
Im Dialog mit Nicolas Emrich, Gründer und CIO von remotly
Mai 2023
Sarah: Vielen Dank, dass du hier bist und mit mir über umweltfreundliches Verhalten am Arbeitsplatz sprichst. Ich bin neugierig darauf, welche Ansätze ihr bei remotly verfolgt, um das Thema in eurer Arbeit mitzudenken. Magst du dich zunächst kurz vorstellen?
Nicolas: Ich bin Nico und der CIO von remotly, das heißt, ich bin verantwortlich für alles, was mit Prozessen zu tun hat, inklusive HR- und IT-Themen. remotly ist spezialisiert auf skalierbare Teamentwicklungsformate, die nicht im Seminarraum, sondern on the job stattfinden. Das Ganze findet zweieinhalb Stunden pro Woche und komplett online statt. Auch der Umweltgedanke ist Teil der Idee.
Sarah: Der Umweltgedanke ist bei euch also quasi schon im Firmennamen remotly enthalten. Darauf würde ich gerne etwas näher eingehen: Was macht den Unterschied aus und was hat euch motiviert, Remote-Workshops anzubieten?
Nicolas: Die Idee war von Anfang an, so klimaneutral wie möglich zu arbeiten. Es war für uns eine sehr einfache Sache zu sagen, wir schicken keine Berater:innen durch die Welt, sondern wir schalten uns online zu den Teams dazu. Und das hat sich im Laufe der Zeit so entwickelt, dass unsere Mitarbeiter:innen das auch mitgetragen haben und gesagt haben, wir brauchen kein Büro. Das sparen wir uns jetzt auch. Wir arbeiten komplett von zu Hause aus, so dass wir im Arbeitsalltag kaum noch CO2 ausstoßen.
Sarah: Ihr arbeitet also sowohl bei der internen Zusammenarbeit als auch bei der Arbeit mit den Kundinnen und Kunden in den Workshops komplett aus der Ferne?
Nicolas: Ja, genau. Wir haben niemanden, der für einen Kundenauftrag das Haus verlassen muss. Man kann die Arbeit komplett von zu Hause aus erledigen. Wir haben auch Kunden im Ausland und niemand muss fliegen, um mit ihnen zu arbeiten. Das wird auch von den Kunden akzeptiert, auch wenn der Klimagedanke nicht an erster Stelle steht.
Sarah: Nutzt ihr den Umweltgedanken auch als Verkaufsargument oder ist es eher ein inneres Bedürfnis von euch und der Kunde akzeptiert remote aus anderen Gründen?
Nicolas: Unsere Erfahrung ist, dass die Kunden noch viel zu wenig darüber nachdenken. Es ist eher ein schöner Nebeneffekt, dass man Teamentwicklung klimaneutral machen kann. Es gibt eigentlich noch keinen Kunden, der sagt, wir machen das mit euch, weil es klimaneutral ist. Aber das ist schon etwas, wo wir eigentlich hinwollen. Wir möchten, dass unsere Kund:innen wissen, das ist bei uns Standard, das machen wir gar nicht anders und wir zeigen euch, dass es funktioniert. Wir wollen auch implizit ein Umdenken bei den Kund:innen erreichen.
Sarah: Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht, wie sich die räumliche Trennung auf die Zusammenarbeit im Team auswirkt? Wie ist die Stimmung im Team? Gibt es auch Ängste und Hindernisse, mit denen man gut umgehen lernen muss?
Nicolas: Die Ängste sind verständlich. Wir sind seit Beginn der Industriearbeit so sozialisiert, dass man zur Arbeit geht und seine Arbeit an einem anderen Ort als zu Hause verrichtet. Wir haben das immer akzeptiert. Durch die Pandemie gab es jetzt mehr Möglichkeiten und man war gezwungen, Dinge auszuprobieren. Viele haben gemerkt, dass die Zusammenarbeit auch gut funktioniert, wenn man sich nicht jeden Tag sieht. Wenn man sich dann doch persönlich trifft, ist die Zusammenarbeit oft noch besser. Das ist ein bisschen paradox. Solange man verstreut arbeitet, spürt man nicht, dass etwas fehlt. Aber wenn man sich dann sieht, merkt man es. So ist es zumindest bei uns. Aber die Auswirkungen sind nicht so groß, dass es ein Grund wäre, nicht online zusammenzuarbeiten. Ich würde es jedem empfehlen.
Mit Blick auf die Bewerber:innen, welches Feedback bekommt ihr? Bewerben sich Menschen explizit wegen der Möglichkeit, aus der Ferne zu arbeiten?
Nicolas: Das spricht sehr viele an und es gibt einige Bewerber:innen, die hauptsächlich deswegen bei uns anfangen wollen. Das ist nicht unbedingt in unserem Sinne, weil wir natürlich in erster Linie Leute gewinnen wollen, die unser Produkt, unsere Arbeit und unser Team gut finden. Aber es ist auf jeden Fall ein großer Vorteil bei der Suche nach Arbeitskräften, weil man sozusagen seinen Suchradius auf die ganze Welt ausdehnen kann. Man muss nicht bei uns in Stuttgart oder in Berlin suchen, sondern kann die Leute überall ansprechen. Das macht es für uns einfacher.
Sarah: Mit Blick auf die Umwelt- und Klimaauswirkungen der Remote Arbeit. Habt ihr konkret überlegt, was ihr einspart, oder habt ihr die Einsparungen berechnet?
Nicolas: Das haben wir nicht ausgerechnet. Aber man spart die Kosten für das Büro und alle Nebenkosten wie Kaffeemaschine, Reinigungsdienst, Ordner, Schränke. Wir arbeiten völlig papierlos. Wir haben nicht einmal einen Schrank, in dem wir einen Ordner aufbewahren könnten. Das heißt auch, dass alle Prozesse sehr gut online funktionieren müssen, was auch ein bisschen Kompetenz im Unternehmen erfordert, um das so umzusetzen. Man muss die richtigen Tools finden und sie gut miteinander integrieren. Je weniger Tools und Systeme, desto besser. Sonst macht die Arbeit irgendwann keinen Spaß mehr.
Sarah: Wie geht ihr im Team miteinander um, wie sorgt ihr für Spaß und Motivation? Habt ihr bestimmte Rituale und Tricks?
Nicolas: Rituale, wie z.B. jeden Dienstag um 16.00 Uhr treffen wir uns zum virtuellen Kaffeetrinken, haben wir nicht. Dafür sind wir nicht der Typ. Ich würde eher sagen, man räumt die Freiheit ein, dass wer etwas braucht und machen will, das einfach tut und sich einfach mit den Kolleg:innen trifft und austauscht. So leben wir das. Was wir aber auch machen ist, dass wir uns mehrmals im Jahr für 2 Tage treffen. Da fällt natürlich auch CO2 an, wobei wir hier wegen der Klimaneutralität die Anreise mit der Bahn bevorzugen. Aber diese Treffen sind wichtig, um den Zusammenhalt im Team zu stärken.
Sarah: Gibt es neben der Entscheidung für die Remote Zusammenarbeit noch andere Bereiche, in denen ihr euch aktiv für Klima und Umwelt einsetzt, oder habt ihr weitere Pläne?
Nicolas: Für die Zukunft haben wir uns zum Beispiel vorgenommen, für jedes startende Team einen Baum zu pflanzen. In der Vergangenheit haben wir bereits Schulen und Organisationen unterstützt, die sich im Bildungsbereich engagieren. Wir konzentrieren uns nicht nur auf Klima- und Umweltthemen, auch das Thema Bildung ist uns sehr wichtig.
Sarah: Wenn es eine Organisation gibt, die glaubt, dass das „Remote-only“-Konzept eine gute Lösung ist, und ganz auf Büroarbeitsplätze verzichten möchte, was sind dann die wichtigsten Tipps, die man bei diesem Schritt beachten sollte?
Nicolas: Durch den fehlenden Austausch an der Kaffeemaschine oder auf dem Flur wird vieles, vor allem das, was schlecht läuft, nicht mehr so direkt ausgesprochen. Man muss ein Gespür dafür haben, um es trotzdem zu hören und entsprechend reagieren zu können. Vor allem sollte man auf die Mitarbeitenden hören, die die Veränderung nicht wollen. Wovor haben sie Angst oder Bedenken? Können die Probleme gelöst werden und wenn ja, wie? Ich würde die Umsetzung nicht übers Knie brechen, sondern Schritt für Schritt ausprobieren, um dann irgendwann zu merken, wir brauchen gar kein Büro mehr.
Sarah: Vielen, vielen Dank für deine Einblicke. Es ist schön, von Unternehmen wie remotly zu hören, die Remote Work als umweltfreundliche Alternative zu klassischen Großraumbüros und langen Pendelzeiten vorleben und damit als Vorbild für andere dienen können.
Nicolas: Auch dir vielen Dank für unser Gespräch.