Die meisten Menschen erkennen den Klimawandel als wichtig(st)es Problem der Gegenwart an, aber zu wenige Bürger:innen verhalten sich entsprechend, um z.B. eigene Treibhausgase zu reduzieren. Warum ist das so? Warum tun nicht mehr von uns das Nötige, um die Probleme zu lindern? Strukturelle Hindernisse wie eine klima-averse Infrastruktur sind ein Teil der Antwort. Aber auch individuelle, psychologische Barrieren behindern Entscheidungen für klimafreundliches Verhalten.
Robert Gifford (2011) diskutiert in seinem Artikel im Journal American Psychologist sieben Kategorien psychologischer Barrieren als Einflüsse, die eine Änderung des Umweltverhaltens einschränken. Er identifiziert insgesamt 29 Einflüsse, die er als “Drachen der Untätigkeit” bezeichnet, und ordnet diese sieben Kategorien zu. Damit versucht er, das Rätsel der Kluft zwischen Einstellung und Verhalten in Bezug auf Umweltprobleme psychologisch erklärbar zu machen. Die Kategorien und Einflüsse sind in der nachfolgenden Übersicht dargestellt.
Dragon No. 1: Begrenztes Denkvermögen bezüglich des Problems
Wir haben ein uraltes Gehirn
Der Mensch ist bekanntlich weniger rational als einst angenommen. Dies gilt für das Denken über den Klimawandel genauso wie in anderen Bereichen. So hat sich das menschliche Gehirn seit Tausenden von Jahren nicht mehr weiterentwickelt. Zu der Zeit, als es seine heutige physische Entwicklung erreichte, waren unsere Vorfahren hauptsächlich mit ihrer unmittelbaren Umgebung, unmittelbaren Gefahren, einer unendlichen Vielfalt an Ressourcen und der Gegenwart beschäftigt. Daher fällt es unserem Gehirn nicht leicht, mit der Herausforderung Klimawandel, der sich langsam vollzieht, mit einem Mangel an Ressourcen einhergeht und dessen Konsequenzen teilweise weit weg von uns liegen, umzugehen.
Unwissenheit über die Ursache und das Ausmaß des Klimawandels
Unwissenheit kann in zweierlei Hinsicht ein Hindernis für klimafreundliches Verhalten sein: nicht zu wissen, dass ein Problem existiert, und nicht zu wissen, was zu tun ist, wenn man das Problem kennt. Auch heute noch gibt es Menschen auf der ganzen Welt, die das Problem des Klimawandels überhaupt nicht präsent haben. Es ist davon auszugehen, dass dieser Teil der Weltbevölkerung wahrscheinlich keine bewussten Maßnahmen ergreifen wird, um den Klimawandel einzudämmen. Die zweite Dimension der Unwissenheit ist noch weiter verbreitet: es geht dabei um die Menschen, die sich des Problems bewusst sind, aber ihnen Wissen über die Ursache und das Ausmaß des Klimawandels sowie Wissen über individuelle Handlungsmöglichkeiten fehlt. Dieser Mangel führt dazu, dass man nicht weiß, (a) welche spezifischen Maßnahmen zu ergreifen sind, (b) wie man die Maßnahmen, die man kennt, ergreifen kann, und (c) welche positiven Auswirkungen die verschiedenen Maßnahmen haben. Selbst Fachleute müssen weiterhin viel lernen, weil Antworten zum Teil nicht immer einheitlich oder offensichtlich sind. Eine weitere Quelle der Unsicherheit sind die unterschiedlichen Informationen, die über Medien verteilt werden. Diese sind zum Großteil vereinfachte Darstellung von wissenschaftlichen Berichten, doch teilweise leider auch gut finanzierte Kampagnen, die versuchen, Tatsachen für den eigenen Zweck zu untergraben.
Umweltbezogene Abstumpfung gegenüber dem Problem
Eine weitere Erklärung, warum der Klimawandel bei vielen Menschen keine Beachtung findet, liegt darin, dass dieser keine unmittelbaren, direkt persönlich spürbaren Schwierigkeiten verursacht. Auf der anderen Seite kann eine Abstumpfung gegenüber der Umwelt auch eintreten, wenn Menschen zu oft etwas über den Klimawandel und die Umwelt hören. Denn wenn wir etwas viele Male sehen oder hören, egal wie katastrophal zu Beginn, sinkt mit der Zeit die Aufmerksamkeit gegenüber der Information und ein Gewöhnungseffekt tritt ein. Tritt ein solches Taubheitsgefühl ein, werden sich Personen auch weniger wahrscheinlich klimaschützend verhalten.
Unsicherheit verringert das Ausmaß umweltfreundlicher Verhalten
Wir Menschen neigen dazu, jedes Anzeichen von Unsicherheit, z.B. darüber, wie groß ein Pool einer natürlichen Ressource oder deren Regenerationsrate wirklich ist, als Gründe zu nutzen, um ein Verhalten, welches eher dem Eigeninteresse als der Umwelt dient, zu erklären. Ungewissheit über den Klimawandel dient also häufig als Rechtfertigung für die Untätigkeit im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Obwohl die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels durch eine Vielzahl von Studien abgesichert sind, sind Wissenschaftler:innen angehalten, auch Unsicherheit, die mit wissenschaftlicher Arbeit einhergehen, zu charakterisieren. Dies führt dann leider eher dazu, dass das Laienpublikum die Risiken des Klimawandels generell unterschätzt.
Diskontierung und Fehlbewertung von Risiken
Ein weiteres Phänomen im Zusammenhang mit der Untätigkeit im Klimaschutz ist, dass die Risiken von Umweltproblemen auf zwei Ebenen falsch bewertet werden. Zum einen gehen die meisten Menschen davon aus, dass die Umweltbedingungen an anderen Orten schlechter sind als dort wo sie wohnen. Zum anderen werden diese auch als zeitlich weiter weg eingeordnet, als es tatsächlich der Fall ist. Mit der allgemeinen Annahme, dass die Bedingungen anderswo schlechter sind und sich lokal erst viel später verschlechtern werden als realistisch vorhergesagt, sinkt die Motivation beim Einzelnen, vor Ort und im Hier und Jetzt gegen den Klimawandel vorzugehen.
Verzerrung durch übertriebenen Optimismus
Optimismus ist im Allgemeinen eine gesunde, wünschenswerte Einstellung, die zu nützlichen Verhaltensweisen führen kann. Optimismus kann jedoch auch übertrieben werden, was sich negativ auf das eigene Wohlbefinden auswirkt. Optimismusverzerrung meint, dass Menschen die Wahrscheinlichkeit positiver Ereignisse über- und die Wahrscheinlichkeit negativer Ereignisse unterschätzen, wenn es darum geht, vorherzusagen, was morgen, nächste Woche oder in fünfzig Jahren mit uns geschehen wird. Vieles deutet darauf hin, dass Menschen Umweltrisiken und -gefahren unterschätzen und die optimistische Voreingenommenheit auch auf die Risiken des Klimawandels zutrifft. Obwohl die Menschen zwar erwarten, dass sich die Umweltbedingungen in den nächsten 25 Jahren generell verschlechtern werden, sind sie optimistisch, dass es nicht dort passiert, wo sie selbst leben und dies nur ein geringes Ausmaß einnimmt.
Fehlende wahrgenommene Handlungskontrolle und Selbstwirksamkeit
Da der Klimawandel ein globales Problem ist, glauben viele Menschen, dass sie als Einzelne nichts dagegen tun können. Dies ist das bekannte Problem des kollektiven Handelns. So handeln Menschen manchmal nicht, weil sie der Meinung sind, dass sie wenig Verhaltenskontrolle über das Ergebnis haben oder dass ihre Handlungen keinen großen Einfluss haben werden. Zusätzlich zu einem Mangel an individueller wahrgenommener Selbstwirksamkeit gibt es im Zusammenhang mit dem Klimawandel auch eine verbreitete Überzeugung, dass selbst kollektives Handeln nichts ausrichten kann.
"Umwelt- oder klimabezogene Untätigkeit scheint in drei große Phasen einteilbar. Echte Unwissenheit schließt sicherlich ein Handeln aus. Auch wenn man sich des Problems bewusst ist, können verschiedene psychologische Prozesse ein wirksames Handeln behindern. Und auch wenn man schließlich bereits etwas unternommen hat, kann es unzureichend sein, weil das Verhalten nachlässt oder sogar kontraproduktiv ist."
Dragon No. 2: Ideologien, die umweltfreundliche Einstellungen und Verhaltensweisen ausschließen
Weltanschauungen, die mit dem Klimaschutz kollidieren
Manche Glaubenssysteme sind so weit gefasst, dass sie viele Aspekte des Lebens eines Menschen beeinflussen. Dazu gehören, zumindest für einige Personen, religiöse und politische Ansichten. Ideologien und Weltanschauungen, die Überzeugungen verkörpern, die mit dem Klimaschutz und anderen Formen umweltfreundlicher Maßnahmen kollidieren, sind starke Hindernisse für Verhaltensänderungen.
Ein bedeutsamer Prädiktor für die Ignoranz gegenüber der globalen Erwärmung ist der Glaube an den Kapitalismus der freien Marktwirtschaft. Der Kapitalismus hat Millionen von Menschen einen wohlhabenden Lebensstil ermöglicht. Doch einige Aspekte des Kapitalismus haben zur Zerstörung von Ozeanen, Wäldern und Landschaften auf der ganzen Welt geführt. Eine große Nähe zu kapitalistischen Organisationen hängt negativ mit umweltfreundlichen Verhaltensweisen zusammen.
Glaube an übermenschliche Kräfte
Manche Menschen ergreifen kaum oder gar keine klimabezogenen Maßnahmen, weil sie glauben, dass eine religiöse Gottheit oder Mutter Natur sie entweder nicht im Stich lassen wird oder ohnehin die Macht über alles hat. Forschende befragten z.B. zwei verschiedene Gruppen pazifischer Inselbewohner, die beide auf sehr niedrig gelegenen, vom Anstieg des Meeresspiegel bedrohten Atollen lebten. Sie fanden heraus, dass die eine Gruppe bereits höher gelegenes Land anstrebt, wobei die andere Gruppe darauf vertraut, dass Gott das biblische Versprechen nicht brechen wird, die Erde nach der Flut, die Noah und sein Gefolge erleiden mussten, nie wieder zu überschwemmen. Sie glaubten also, dass der Anstieg des Meeresspiegels sie nicht betreffen wird. Andere Personengruppen äußern manchmal die Überzeugung, dass Mutter Natur einen Verlauf nehmen wird, den wir Sterblichen nicht beeinflussen können. Aus solchen Überzeugungen folgt natürlich ebenfalls Untätigkeit in Bezug auf den Klimawandel.
Überschätzung technischer Lösungen (Technikglaube)
Technische Innovationen haben eine lange und bewundernswerte Geschichte bzgl. der Verbesserung des Lebensstandards. Für einige Menschen scheint jedoch der übermäßige Glaube an die Wirksamkeit der Technologie ein Hindernis für ihr eigenes klimafreundliches Verhalten zu sein. Sie sehen die Technologie allein (oder fast allein) als Mittel, um die mit dem Klimawandel verbundenen Probleme zu lösen. So dient z.B. Geo-Engineering, wie die Schaffung künstlicher Bäume,die Beschichtung von Gebäuden mit Algen oder die Gewinnung von CO2 aus der Luft, als Mittel im Kampf gegen eine weitere Erderwärmung. Doch selbst die technischen Experten betonen, dass Geo-Engineering nur in Verbindung mit anderen Klimaschutzmaßnahmen insgesamt zur Eindämmung des Klimawandels führen kann.
Tendenzen, dass bestehende System zu rechtfertigen
Zudem erleben wir die Tendenz, dass Menschen den gesellschaftlichen Status quo versuchen zu verteidigen und zu rechtfertigen. Insbesondere wenn Menschen das Glück haben, einen komfortablen Lebensstil zu führen, wächst diese Tendenz, nichts zu verändern bzw. nicht zuzulassen, dass Andere die Art und Weise ändern, wie die Dinge derzeit funktionieren. Allerdings könnte das auch als Chance genutzt werden, dass sich die Ansichten der Systembefürworter zum Klimawandel ändern, wenn es gelingt, den Klimaschutz als Teil des Systems darzustellen.
Dragon No. 3: Vergleiche mit anderen Personen
Soziale Vergleiche zur Bewertung “richtiger” Verhaltensweisen
Der Mensch ist ein soziales Wesen, bei dem der Vergleich der eigenen Handlungen mit denen anderer tief verwurzelt ist. Aus den Beobachtungen des Vergleichs leiten wir subjektive und deskriptive Normen über richtiges Verhalten ab. Solange ein Großteil der Menschheit umweltschädliche Verhaltensweisen an den Tag legt, bleibt dieses Verhalten im Vergleich als Norm bestehen.
Die Rolle sozialer Normen und sozialer Netzwerke
Normen werden oft als potenzielle Triebkraft für Fortschritte in Umweltfragen genannt. Das können sie auch sein. Doch häufig können sie auch Rückschritte bewirken. Normen können sich z.B. durch soziale Netzwerke in der Nachbarschaft entwickeln. In einer Studie über den Stromverbrauch von Haushalten konnte z.B. gezeigt werden, dass Mieter:innen ihren Energieverbrauch entsprechend senkten oder erhöhten, wenn ihnen die Energiemenge mitgeteilt wurde, die die Gesamtheit der Hausbewohnenden verbrauchte. Soziale Netzwerke können damit aber auch einen sehr positiven Effekt haben. In einer Studie zur Installation von Photovoltaikanlagen konnte gezeigt werden, dass Nachbarschaftsnetzwerke dazu führten, dass in bestimmten Wohngebieten überdurchschnittlich viele Anlagen installiert wurden.
Wahrgenommene Ungerechtigkeit: "Warum sollte ich mich ändern, wenn die anderen sich nicht ändern wollen?"
Häufig dient auch die Untätigkeit anderer, z.B. anderer Länder, anderer Wirtschaftszweige oder auch bekannter Persönlichkeiten als Rechtfertigung für die eigene Untätigkeit. Diese Wahrnehmung von unterschiedlichem verantwortungsbewussten Verhalten, welches häufig mit Verzicht assoziiert ist, führt zu einem Gefühl von Ungleichheit oder Ungerechtigkeit und damit zu einer verminderten Motivation für umweltfreundliches Verhalten.
Dragon No. 4: Unumkehrbare Kosten
Unumkehrbare, finanzielle Investitionen als Hindernis
Wenn man einmal in etwas investiert hat, ist es schwierig, sich davon zu trennen. Das wichtigste Beispiel in diesem Zusammenhang könnte der Besitz eines Autos sein. Wenn man ein Auto gekauft hat und nun für seine Versicherung zahlt und die Wertminderung des Autos überwacht, ist es für viele Menschen schwierig, das Auto in der Einfahrt stehen zu lassen. Es würde ein Gefühl entstehen, die Ausgaben “wegzuwerfen”, wenn sie plötzlich mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, auch wenn das eine logische, rationale Entscheidung wäre. Ein weiteres Beispiel ist, wenn man in der Industrie für fossile Brennstoffe tätig ist und hört, dass die Verbrennung dieser Brennstoffe die Umwelt schädigt. Es ist für Menschen einfacher, ihre Meinung zu ändern und logische Fakten zu ignorieren (z.B. “die Verbrennung der Brennstoffe verursacht kein Problem”) als gewohntes Verhalten (z.B. "Ich arbeite erfolgreich in der Brennstoff-Branche”) zu ändern.
Verhaltensdynamiken und Gewohnheiten
Gewohnheiten sind wichtig, denn sie sorgen für Stabilität im Handeln und damit für ein geordnetes Miteinander. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen uns Gewohnheiten allerdings oft im Weg. Dabei geht von Gewohnheiten ein wesentlicher Teil des menschlichen Beitrags zum Klimawandel aus. So sind z.B. Verhaltensdynamiken in Essgewohnheiten, im Kaufverhalten oder bei der Autonutzung teilweise nur sehr schwer änderbar. Es braucht einen erheblichen Anstoß, wie z.B. gesundheitliche Risiken, oder einen Zwang durch Gesetze, z.B. Geschwindigkeitsregulierung auf Autobahnen, für nachhaltige Verhaltensänderung.
Widersprüchliche Ziele und Bestrebungen
Jeder Mensch hat verschiedene Ziele und Werte. Umweltfreundliche Werte beeinflussen die Bereitschaft, Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zumindest zu akzeptieren. Aber sie sind nicht immer mit anderen Werten, anderen Zielen und anderen Bestrebungen vereinbar. Das Bestreben, im Leben "voranzukommen", bedeutet oft, sich auf Handlungen einzulassen, die keinen positiven Einfluss auf das Klima haben: ein größeres Haus zu kaufen, ein größeres Auto zu fahren oder sich teure Inselurlaube in der Ferne zu leisten. Ökologische Werte und Ziele werden dann häufig anderen Werten und Zielen untergeordnet.
Dragon No. 5: Missbilligung von Experten und Behörden
Misstrauen und Verschwörungsmentalität
Vertrauen ist eine wesentliche Voraussetzung für gesunde Beziehungen. Wenn es fehlt, z.B. gegenüber Umweltwissenschaftler:innen oder -politiker:innen, kommt es eher zu Widerstand. Vertrauen ist auch leicht zu erschüttern, z.B. wenn Beiträge nur selektiv zitiert werden oder wenn nur einige wenige Wissenschaftler:innen Meinungen vertreten, die der Mehrheit der Wissenschaft entgegenstehen, kann dies weit verbreitetes Misstrauen z.B. in die Wissenschaft, hervorrufen. Doch Vertrauen, z.B. dass andere keinen Vorteil daraus ziehen, sondern ehrlich sind oder dass die Änderung wertvoll und gerecht ist, ist eine wichtige Voraussetzung für eine Verhaltensänderung. Wenn das Vertrauen schwindet, nimmt die Wahrscheinlichkeit eines positiven Verhaltens im Hinblick auf den Klimawandel ab.
Unpassende Maßnahmen
Politische Entscheidungsträger haben bereits eine Vielzahl an Programmen initiiert und umgesetzt, die nachhaltige oder klimafreundliche Verhaltensweisen fördern sollen. Die meisten klimabezogenen Programme sind jedoch für den Einzelnen eher freiwillig. Daher fällt es einfacher, die Programme bzw. deren Angemessenheit abzuwerten, als sein eigenes Verhalten ändern zu müssen.
Verleugnung des Klimawandels
Unsicherheit, Misstrauen und verlorene Kosten können leicht zu einer aktiven Leugnung führen, z.B. dass der Klimawandel überhaupt stattfindet, dass er anthropogene Ursachen hat oder dass das eigene Handeln eine Rolle beim Klimawandel spielt. Auch wenn es Minderheiten sind, gibt es Menschen, die an der öffentlichen Klimadiskussion teilnehmen und behaupten, dass der Klimawandel ein Phantomproblem ist, das von Wissenschaftlern erfunden wurde und gar nicht existiert. Es ist davon auszugehen, dass Emotionen wie z.B. Angst eine wichtige Rolle bei der Erklärung von Leugnungsphänomenen spielen.
Reaktanz und Widerstand gegen vermeintliche Freiheitseinschränkungen
Vieles deutet außerdem darauf hin, dass viele Menschen allgemein Botschaften von Wissenschaftlern oder Regierungsbeamten misstrauen - auch in Bezug auf Klima- und Umweltprobleme. Einige Menschen reagieren stark auf Ratschläge oder politische Maßnahmen, die ihre Freiheit zu bedrohen scheinen. Das kann gefährlich werden. So versuchen z.B. diejenigen, die Interesse an der fossilen Brennstoffindustrie haben, das Misstrauen gegenüber dem wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel zu schüren und somit Widerstand gegen den Klimaschutz zu erzeugen.
Dragon No. 6: Verhaltensänderungen birgen persönliche Risiken
Funktionelle Risiken: Wird es funktionieren?
Wenn man zum Beispiel ein Plug-in-Elektroauto kauft, kann es als neue Technologie Probleme mit der Batterie geben. Das Gleiche gilt für viele weitere umweltfreundliche Technologien bzw. Innovationen, bei denen die Erfahrungswerte nicht über mehrere Jahrzehnte reichen und keine absolute Sicherheit geben können.
Physische Risiken: Ist es sicher?
Einige Anpassungen können mit einer gewissen Gefahr verbunden sein oder zumindest als solche wahrgenommen werden. Ist dieses Plug-in-Elektroauto zum Beispiel genauso sicher wie der Geländewagen, den man für den Kauf eines neuen Autos eingetauscht hat? Oder besteht eine größere Gefahr für einen Schaden bei einem Unfall? Solche potentiellen Gefahren verbreiten sich häufig auch als Gerüchte, denn objektiv besteht keine Evidenz, dass E-Autos ein größeres Sicherheitsrisiko bergen.
Finanzielle Risiken: Lohnt es sich finanziell?
Viele umweltfreundliche Lösungen erfordern Kapitaleinsatz. Wenn das Produkt ein fester Bestandteil des Hauses wird (z. B. private PV-Anlagen) stellt sich die Frage, wann der Eigentümer die Installationskosten wieder einspielen oder genügend Energieeinsparungen erzielen wird (Amortisationszeit).
Soziale Risiken: Was denken die anderen?
Viele unserer Entscheidungen werden von anderen wahrgenommen und damit Teil unseres “öffentlichen Gesichts”. Die meisten von uns sind dem Urteil von Freund:innen und Kolleg:innen ausgesetzt, was (je nach Umfeld) zu einer Schädigung des Rufs führen kann. Wenn ich mir ein Elektroauto kaufe, werden die Anderen mich dann auslachen oder hinter meinem Rücken schlecht über mich reden?
Psychologische Risiken: Wie geht es mir nach der Entscheidung?
Es besteht die Gefahr, dass die Person durch die Entscheidung oder Verhaltensänderung durch Andere abgewertet wird und damit das eigene Selbstwertgefühl oder Selbstvertrauen geschädigt wird.
Zeitliche Risiken: Lohnt sich der Aufwand?
Ein anderes Risiko ist, dass die Zeit, die man für die Planung und Umsetzung der neuen Vorgehensweise aufwendet, nicht die gewünschten Ergebnisse bringt. Denn Menschen verbringen in der Regel viel Zeit mit einem Thema, bevor sie sich für eine Änderung, wie z.B. Vegetarier zu werden oder ein E-Auto zu kaufen, entscheiden. Wenn die Entscheidung nicht zu den gewünschten Vorteilen führt, ist die “verlorene” Zeit, die für die Recherche oder den Kauf von Produkten aufgewendet wird, nicht unerheblich.
Dragon No. 7: Begrenztes Handeln, das nicht ausreicht
Symbolische Handlungen: Veränderung bleibt bei Alibi-Verhalten
Viele Menschen unternehmen zumindest minimale Schritte, um die Emission von Treibhausgasen zu begrenzen. Einige klimabezogene Verhaltensweisen, wie z.B. Müll trennen, sind leichter zu übernehmen als andere, haben aber nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen. Da sie jedoch leicht zu übernehmen sind, werden diese Maßnahmen eher gewählt als kostenintensivere, aber effektivere Maßnahmen. Die meisten Menschen könnten jedoch mehr tun als sie tun. Allerdings nehmen sie die wenigen Maßnahmen, die sie gewählt haben, als Alibi oder Rechtfertigung, dass sie ja schon genug tun. Das sind unlogische Schlüsse, wie z.B. “Ich ernähre mich ja vegetarisch, deshalb kann ich auch einmal im Jahr einen Langstreckenflug buchen.” (Single Action Bias).
Der Rebound-Effekt
Ein weiteres Problem bei anfänglich klimafreundlichen Entscheidungen ist der Rebound-Effekt. Nachdem eine gewisse Anstrengung unternommen wurde, werden die erzielten Gewinne durch nachfolgende Maßnahmen geschmälert oder zunichtegemacht. Ein Beispiel dafür ist z.B. wenn Personen, die kraftstoffsparende Fahrzeuge kaufen, plötzlich längere Strecken fahren. Oder Personen, die sich dafür entschieden haben, nachhaltige Kleidung zu kaufen, aber nun mit einem vermeintlich gutem Gewissen noch viel mehr Kleidung kaufen als vorher.
Wie können uns die Erklärungsmodelle der “Drachen der Untätigkeit” weiterhelfen?
Umwelt- oder klimabezogene Untätigkeit scheint in drei große Phasen einteilbar. Echte Unwissenheit schließt sicherlich ein Handeln aus. Auch wenn man sich des Problems bewusst ist, können verschiedene psychologische Prozesse ein wirksames Handeln behindern. Und auch wenn man schließlich bereits etwas unternommen hat, kann es unzureichend sein, weil das Verhalten nachlässt oder sogar kontraproduktiv ist.
Die ausführliche Beschreibung verschiedener psychologischer Einflüsse auf unsere Tätigkeit oder Untätigkeit in Bezug auf Klima- und Umweltschutz kann uns einerseits persönlich dabei helfen, eigene kognitive Hindernisse zu identifizieren und im Sinne der positiven Verhaltensänderung zu überwinden. Sie können aber auch andererseits dafür genutzt werden, eine motivierende Kommunikation für umweltfreundliches Verhalten zu finden, andere Menschen vor den Fallen der Untätigkeit zu warnen und die Aufmerksamkeit im Interesse des Klimaschutzes auszurichten.
Quelle: Gifford, R. (2011). The Dragons of Inaction: Psychological Barriers That Limit Climate Change Mitigation and Adaptation. American Psychologist, 66(4), 290-302. https://doi.org/10.1037/a0023566.
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