Mehr Natur im Arbeitsalltag: Was die Wissenschaft über Naturkontakt und Gesundheit am Arbeitsplatz verrät
- Sarah Rietze
- 26. Juli
- 4 Min. Lesezeit
In einer zunehmend urbanisierten Welt, in der Arbeitsumgebungen oft von Bildschirmen, künstlichem Licht und stressigen Anforderungen geprägt sind, wird die Bedeutung von Naturkontakt immer deutlicher. Studien zeigen, dass der Kontakt mit der Natur nicht nur das allgemeine Wohlbefinden steigert, sondern auch spezifische Vorteile für die physische und psychische Gesundheit und damit auch die Leistungsfähigkeit bietet.
Doch was bedeutet das für den Arbeitsplatz?
Die heilende Kraft der Natur: Was sagt die Forschung?
Zu den Pionieren in der Erforschung des positiven Einflusses von Naturkontakt gehört der Forscher Ulrich und seine wegweisende Science-Studie aus dem Jahr 1983. Darin zeigte sich, dass Patienten, die nach einer Gallenblasenoperation in ihrem Krankenzimmer einen Blick auf Bäume hatten – im Vergleich zu Patienten mit Aussicht auf eine Ziegelwand – kürzere Krankenhausaufenthalte erlebten und weniger Schmerzmittel benötigten. Diese Ergebnisse zeigen, wie bedeutsam visuelle Reize aus der Natur für die Stressbewältigung sein können. Sie legten den Grundstein für eine Vielzahl weiterer Studien, die die gesundheitsfördernde Wirkung von Naturkontakt belegten.
White und Kollegen (2019) wollten wissen, ob es eine Art Schwellenwert gibt. Ihre Ergebnisse zeigten, dass bereits 120 Minuten pro Woche in der Natur ausreichen, um signifikant bessere gesundheitliche Werte und ein höheres Wohlbefinden zu erreichen. Beeindruckend ist, dass diese Vorteile unabhängig von Alter, Geschlecht und sozioökonomischem Status sind. Dabei hatten häufige, kurze Besuche in der Natur vergleichbar positive Effekte wie längere Aufenthalte. Eine Studie von Park et al. (2010) zum japanischen Konzept des "Shinrin-yoku" („Waldbaden“) illustrierte, wie Aufenthalte in der Natur das autonome Nervensystem regulieren, Stressreaktionen verringern und die parasympathische Aktivierung fördern. Diese Prozesse sind essenziell für die Regeneration und langfristige Gesundheit. Und auch Richardson und Sheffield (2017) liefern ein weiteres inspirierendes Studienbeispiel zu Mikro-Interventionen in der Natur: Ihre Untersuchung zeigte, dass Teilnehmende, die fünf Tage lang täglich drei positive Dinge in der Natur notierten und damit Achtsamkeit und bewusste Wahrnehmung in der Natur übten, eine nachhaltig verbesserte Naturverbundenheit und eine gesteigerte psychische Gesundheit erlebten.
Naturkontakt und Arbeitsplatz: Ein unterschätztes Potenzial
Der Arbeitsplatz ist ein Ort, an dem viele von uns viel Zeit verbringen – und oft fehlt dort der Kontakt zur Natur. Doch warum sollten wir das ändern?
1. Stressreduktion und Erholung
Natürliche Umgebungen können physiologische Stressmarker wie den Cortisolspiegel senken (Park et al., 2010). Dieser Effekt kann auch am Arbeitsplatz genutzt werden. Regelmäßige Pausen in natürlichen oder naturnah gestalteten Umgebungen können helfen, Stress abzubauen und die mentale Belastbarkeit zu erhöhen.
2. Steigerung von Kreativität und Konzentration
Die Attention Restoration Theory (Kaplan & Kaplan, 1989) legt nahe, dass natürliche Umgebungen kognitive Ressourcen wiederherstellen können. Berman et al. (2015) zeigten in ihrer Studie, dass Spaziergänge in der Natur die Aufmerksamkeit und Impulskontrolle verbessern. Diese Effekte könnten speziell in Berufen mit hohen kognitiven Anforderungen dazu beitragen, die Produktivität und Innovationsfähigkeit zu steigern.
3. Psychische Gesundheit und Wohlbefinden
Naturkontakt spielt zudem eine wichtige Rolle bei der Verbesserung des emotionalen Wohlbefindens. Wie in den Studien von Richardson and Sheffield (2017) oder White et al. (2019) untersucht, können selbst kleine Interventionen, wie die bewusste Wahrnehmung von Natur, langfristige Vorteile für die psychische Gesundheit bieten.
4. Teamdynamik und soziale Kohäsion
Natürliche Umgebungen bieten auch Potenzial für die soziale Dynamik. Gemeinsame Outdoor-Aktivitäten wie Spaziergänge oder naturnahe Workshops können das Gemeinschaftsgefühl stärken und die Zusammenarbeit in Teams verbessern.
Grün wirkt – so kann Natur den Arbeitsalltag bereichern:
Was bedeuten diese Erkenntnisse konkret für Unternehmen? Hier sind ein paar unserer Ideen und Empfehlungen, wie Naturkontakt in Arbeitsumgebungen gefördert werden kann:
Bürobegrünung: Die Integration von Pflanzen in Innenräume verbessert nicht nur die Luftqualität, sondern schafft eine angenehmere, beruhigende Atmosphäre – ein Plus für Konzentration und Wohlbefinden.
Naturnahe Pausenräume: Der Zugang zu grünen, artenreichen Außenbereichen fördert die Erholung und steigert die Regeneration während der Arbeitszeit.
Bewegung im Freien: Spaziergänge oder Meetings im Grünen regen Kreativität und Denkprozesse an – und tragen gleichzeitig zur körperlichen Gesundheit bei.
Achtsamkeit in der Natur: Kleine Übungen wie „Drei gute Dinge in der Natur“ lassen sich leicht in den Alltag integrieren. Sie stärken die Naturverbundenheit und fördern mentale Ausgeglichenheit.
Workshops im Grünen: Strategietreffen oder Kreativworkshops im Wald oder Park bringen neue Perspektiven und fördern Teamdynamik.
Flexibles Arbeiten im Grünen: Die Möglichkeit, gelegentlich draußen oder in naturnahen Umgebungen zu arbeiten, kann ein wichtiger Faktor für Motivation und Mitarbeiterzufriedenheit sein.
Die Natur bietet einen reichen Schatz an Möglichkeiten, die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit zu fördern – auch und gerade am Arbeitsplatz. Durch bewusste Entscheidungen können Unternehmen somit nicht nur die Produktivität steigern, sondern auch einen wertvollen Beitrag zur mentalen Gesundheit ihrer Mitarbeitenden leisten. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind klar: Ein bisschen mehr Natur im Arbeitsalltag lohnt sich – für Menschen, Teams und Organisationen.
Quellen:
Berman, M. G., Jonides, J., & Kaplan, S. (2015). The cognitive benefits of interacting with nature. Psychological Science, 19(12), 1207–1212. https://doi.org/10.1111/j.1467-9280.2008.02225.x
Kaplan, R., & Kaplan, S. (1989). The experience of nature: A psychological perspective. Cambridge University Press.
Park, B. J., Tsunetsugu, Y., Kasetani, T., Kagawa, T., & Miyazaki, Y. (2010). The physiological effects of Shinrin-Yoku (Forest Bathing): Evidence from field experiments in 24 forests across Japan. Environmental Health and Preventive Medicine, 15(1), 18–26. https://doi.org/10.1007/s12199-009-0086-9
Richardson, M., & Sheffield, D. (2017). Three good things in nature: Noticing nearby nature brings sustained increases in connection with nature. PsyEcology, 8(1), 1–32. https://doi.org/10.1080/21711976.2016.1267136
Ulrich R. S. (1984). View through a window may influence recovery from surgery. Science (New York, N.Y.), 224(4647), 420–421. https://doi.org/10.1126/science.614340
White, M. P., Alcock, I., Grellier, J., Wheeler, B. W., Hartig, T., Warber, S. L., Bone, A., Depledge, M. H., & Fleming, L. E. (2019). Spending at least 120 minutes a week in nature is associated with good health and wellbeing. Scientific Reports, 9(1), 7730. https://doi.org/10.1038/s41598-019-44097-3